EU-Höchstwerte für Radioaktivität in Lebensmitteln zu hoch

Während die Einsatzkräfte in Japan noch darum ringen, die Unfälle im Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi unter Kontrolle zu bekommen, steigt in Österreich die Sorge vor radioaktiv belasteten Lebensmitteln aus Japan. Die EU hat bereits reagiert und die Durchführungsverordnung 297/2011 beschlossen, um die Anwendung der Höchstwerte, die für den Fall eines nuklearen Unfalls bereits 1987 in einer Euratom-Verordnung festgelegt wurden, nun auch für Lebensmittelimporte aus Japan zu bekräftigen. Die Regelung trat am 26.3.2011 in Kraft und sollte vorerst bis 30. Juni 2011 gelten.

NEU: Nach heftiger Kritik verschiedener Organisationen wie z.B. des Österreichischen Ökologie-Instituts an den viel zu hohen erlaubten Höchstwerten wurden am 8. April 2011 von den EU-Mitgliedsstaaten auf Vorschlag der Kommission neue, niedrigere Grenzwerte beschlossen.

Die in der EU (und somit auch in Österreich) bis von März - 8. April 2011 gültigen Höchstwerte für Nahrungs- und Futtermittel der vorübergehend geltenden Verordnung waren sehr hoch, für die meisten Produkte sogar deutlich höher als die derzeit in Japan geltenden Werte. Im Vergleich dazu waren die Grenz- und Richtwerte, die Österreich kurz nach dem Unfall von Tschernobyl festlegte, wesentlich niedriger.

Die Verordnung von 8. April 2011 glich die in Europa geltenden Höchstwerte an die Werte aus Japan an - im Vergleich zu den in Österreich von 1995 geltenden Höchstwerten sind die Werte noch immer hoch.

Die folgende Tabelle zeigt Höchstwerte für Cäsium für ausgewählte Lebensmittel in Bq/kg (1. Spalte in Klammer: die von März - 8. April 2011 geltenden Werte für Importe aus Japan in die EU)

EU, gültig seit 8. April 2011 (März - April 2011) Japan, derzeit gültig Österreich, gültig nach Tschernobyl bis zum EU-Beitritt
Babynahrung 200 (400) 11,1
Milch 200 (1.000) 200 185
Gemüse* 500 (1.250) 500 111
Trinkwasser 200 (1.000) 200 1,85

Die folgende Tabelle zeigt Höchstwerte für Iod für ausgewählte Lebensmittel in Bq/kg (1. Spalte in Klammer: die von März - 8. April 2011 geltenden Werte für Importe aus Japan in die EU)

EU, gültig seit 8. April 2011 (März - April 2011) Japan, derzeit gültig Österreich, gültig nach Tschernobyl bis zum EU-Beitritt
Babynahrung 100 (150)
Milch 300 (500) 300 185
Gemüse* 2000 2000 74
Trinkwasser 300 (500) 300 (100 für Babys,Schwangere und Stillende) 3,7

'* Die Werte für Gemüse gelten in der EU auch für alle anderen Lebensmittel außer Milch und Getränke - lt. der neuen Verordnung gelten sie auch für Minor Foodstuff wie zB Gewürze.

Was zur Verwirrung beiträgt: Für Lebensmittel, die durch Tschernobyl kontaminiert sind, gelten in der EU aufgrund einer anderen Verordnung (733/2008 idgF) folgende Höchstwerte: für Cäsium 370 Bq/kg für Milch, Milchprodukte und Babynahrung, und 600 Bq/kg für alle anderen Lebensmittel. Lebensmittel aus Japan fallen jedoch nicht in den Geltungsbereich dieser Verordnung.

Die bis 8. April 2011 geltende Durchführungsverordnung begrenzte die Gültigkeit der Höchstwerte vorerst auf drei Monate. Falls sich eine erwachsene Frau dem österreichischen Durchschnitt entsprechend ernährt, hätte sie in drei Monaten die folgende Dosis erhalten können, falls die Höchstwerte der EU allein für Cäsium und Iod bei den folgenden Lebensmittelgruppen ausgeschöpft worden wären:

Konsum in kg in drei Monaten, berechnet nach dem Österr. Ernährungsbericht 2008 Dosis aufgrund der Höchstwerte der EU, in milliSievert (mSv) Dosis aufgrund der früher gültigen österreichischen Grenzwerte, in mSv
Milch 17,7 0,42 0,11
Gemüse 17,3 1,04 0,05
Trinkwasser 100,5 2,41 0,01
Summe dieser drei ausgewählten Lebensmittelgruppen 3,88 0,18

(Da Männer durchschnittlich mehr Milch, aber weniger Gemüse und Trinkwasser konsumieren, wäre ihre Dosis ein wenig niedriger: 3,16 bzw. 0,12 mSv.)

Laut österreichischer Strahlenschutzverordnung §14 sollen Mitglieder der Bevölkerung jedoch maximal 1 mSv pro Jahr an Effektivdosis (exklusive natürlicher Hintergrundstrahlung und medizinischer Strahlenbelastung) erhalten. Es zeigt sich, dass unter Ausschöpfung der Höchstwerte diese Jahresgrenze bereits in kurzer Zeit überschritten werden könnte.

In Österreich werden derzeit kaum Lebensmittel aus Japan importiert, daher droht keine aktuelle Gefahr. Aber trotzdem kann es nicht im Sinne eines vorsorgenden Strahlenschutzes sein, dass Höchstwerte für Lebensmittel gesundheitsgefährdend hoch sind.

Greenpeace weist allerdings auf ein Radioaktivitätsproblem von Algen aus Japans Ostküste hin und fordert Untersuchung der für den Verzehr bestimmten Algen: Radioaktivitätsmessungen ergaben mehr als 10.000 Becquerel pro Kilo bei zehn von 22 mit dem Geigerzähler vermessenen Proben.

Der nächste Kernkraftwerksunfall kann genauso gut mitten in Europa passieren. Wenn dann auch die im März 2011 eingesetzten Höchstwerte der Euratom Verordnung zum Einsatz kommen, könnte die Bevölkerung eine unnötig hohe Dosis erhalten.

Der Beitrag der Dosis aus der Ernährung, die so genannte Ingestionsdosis, macht in den Jahren nach einem Reaktorunfall den größten Teil aus. So ließ sich in Österreich im ersten Folgejahre nach Tschernobyl (Mai 1986-Mai 1987) fast 60% der erhaltenen Dosis für Babys auf die Ernährung zurückführen, bei Erwachsenen sogar 75%.
Daher ist es umso wichtiger, möglichst wenig kontaminierte Lebensmittel zu sich zu nehmen um Spätfolgen zu minimieren. Niedrige erlaubte Höchstwerte sind dafür äußerst wichtig.

Leider ist auch in der geplanten Neufassung der Euratom-Verordnung von 1987 idgF, die im Februar 2011 im Europäischen Parlament beschlossen wurde aber noch nicht in Kraft ist, keine Verringerung der Höchstwerte vorgesehen, die jetzigen Werte werden beibehalten.

Wir empfehlen dringend, dass sich Österreich als KKW-freies Land im Sinne eines vorsorgenden Strahlenschutzes auch nach dem 8. April 2011 für eine weitere Absenkung der Höchstwerte in der EU einsetzt, und zwar zumindest auf die Höhe der österreichischen Grenzwerte nach Tschernobyl.

Kontakt:
Maga. Gabriele Mraz
Österreichisches Ökologie-Institut
Tel: +43/699/15236131
mraz@ecology.at
www.ecology.at

Quellenangaben:

  • Durchführungsverordnung (EU) 297/2011 der Kommission vom 25. März 2011 zum Erlass von Sondervorschriften für die Einfuhr von Lebens- und Futtermitteln, deren Ursprung oder Herkunft Japan, ist, nach dem Unfall im Kernkraftwerk Fukushima.
  • Verordnung (Euratom) 3954/87 des Rates idgF zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungsmittel und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation.
  • Österreichische Grenzwerte bis zum EU-Beitritt: siehe BKA (1991): Radioaktivitätsmessungen in Österreich 1988 und 1989. Daten und Bewertung. Beiträge 2/91, Forschungsberichte, Hrsg. BKA Sektion VII, S. 114f.
  • Neufassung der Euratom-Verordnung: COM(2010)184 final: Proposal for a Council Regulation (Euratom) laying down maximum permitted levels of radioactive contamination of foodstuffs and feedingstuffs following a nuclear accident or any other case of radiological emergency (Recast).
  • Verordnung (EG) Nr. 733/2008 des Rates vom 15. Juli 2008 über die Einfuhrbedingungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse mit Ursprung in Drittländern nach dem Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl (kodifizierte Fassung), idgF, gilt bis 31.3.2020. Diese VO baut auf der VO 737/1990 auf, mit der zum ersten Mal Höchstwerte aufgrund des Unfalls von Tschernobyl festgelegt wurden.

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